Der Bund hat eine Diktatur eingeführt. Er hat die Demokratie ausgeschaltet

Die Unternehmerin und SVP-Politikerin Martullo-Blocher fordert ein Ende des teilweisen Lockdowns in der Schweiz. Die sozialen und finanziellen Kosten für die Massnahmen seien zu hoch, der Nutzen zu gering. Sie sagt: «Der Bund regiert mit Schreckensszenarien, damit er die Macht behalten kann.»

Die Ems-Group hat soeben ihren Jahresabschluss präsentiert. Wie blicken Sie als Unternehmerin auf das Geschäftsjahr 2021?

Wir sind zuversichtlich. Die staatlichen Finanzprogramme schaffen Vertrauen und Kaufkraft. Intern werden wir nicht mit 2020, sondern mit dem letzten normalen Jahr, also mit 2019, vergleichen. Im Vergleich mit 2020 würden die Zahlen zu gut aussehen. Das ist für uns nicht hilfreich in Bezug auf unsere Wachstumspläne. Vor diesem Hintergrund lohnt sich übrigens auch ein Blick auf China.

Wegen Chinas Umgang mit der Pandemie?

Nein, weil die Industrie des Landes schon seit Frühling 2020 wieder normal arbeitet. Meetings, Messen, Entwicklungen, Firmenübernahmen – die Chinesen fahren das volle Wirtschaftsprogramm. Und was macht Europa? Alle einsperren, vieles schliessen, verlangsamen, erschweren, verkomplizieren und mit Geld überdecken. Im weltweiten Wettbewerb wird China in der Pandemie einen zeitlichen Vorsprung herausholen. Die USA können noch mithalten, weil sie weniger eingreifen und über grosse Technologiekonzerne verfügen. Corona wird Europa zurückwerfen. Jetzt beginnen sich auch Industrie-, Pharma- und Chemiebetriebe in der Schweiz gegen die Corona-Massnahmen aufzulehnen.

Was können wir Ihrer Meinung nach sonst noch von China lernen?

Gerade in China, wo nicht geimpft werden musste, hat man die Wirksamkeit von Massentests gesehen. Wenn irgendwo Infektionen auftauchen, wird die ganze Umgebung durchgetestet. In wenigen Tagen wurden in Peking 7 Millionen Menschen getestet. Als die Schweizer Fallzahlen Anfang November so hoch waren, evaluierte ich die Beschaffung von 5 Millionen Tests. Die Zahlen sinken aber seither. Graubünden sah jedoch eine Chance im Tourismus. Der Bund wollte lange nichts davon wissen, doch Graubünden hat früh mit Testen begonnen. Die Entschädigung vom Bund ist hier aber immer noch unklar.

Im Kanton Graubünden führen auch Unternehmen regelmässig Tests durch. EMS auch?

Wir lassen 250 Lernende testen. Viele wohnen noch zu Hause, sind oft unterwegs und sollten ja auch Gleichaltrige treffen. Die Spucktests, die im Kanton Graubünden verwendet werden, sind sehr einfach und kosten nicht viel. Ems bezahlt das.

Und wie halten Sie es bei Ems mit Schutzmassnahmen?

Bei Ems haben wir schon Anfang letzten Jahres Schutzmassnahmen eingeführt und alle 32 Standorte mit Masken eingedeckt. Wir haben keine Ansteckungen in unseren Betrieben, weil die Masken einen zuverlässigen Schutz bieten. Weshalb zieht man aus solchen Erfahrungen nicht die richtigen Schlüsse? Wenn die Schutzkonzepte konsequent durchgesetzt werden, funktionieren sie. Auch bei der frühen Öffnung der Coiffeur- und Kosmetiksalons, die ich versorgte, gab es keine Ansteckungen. In St. Moritz, wo sich das Personal in zwei Hotels ansteckte, einige sogar mit der britischen Variante: Kein einziger Gast wurde angesteckt! Weshalb sollen die Restaurants nicht öffnen können?

Sie wollen den Lockdown beenden?

Natürlich! Jeder zehnte Erwerbstätige arbeitet jetzt nicht mehr. Unternehmen gehen unter. Die Stimmung in der Bevölkerung ist längst gekippt. Die Massnahmen des Bundesrats werden nicht mehr mitgetragen. Der Petition «Stopp Lockdown» fliegen die Stimmen nur so zu. Es sind längst mehr, als es für eine Volksinitiative brauchen würde. Durchzutesten ist viel wirksamer als ein Lockdown. Wir müssen testen und impfen. Wenn die Risikogruppen geimpft sind, ist der Kampf gegen das Virus schon fast gewonnen. Die Schliessungen von Läden und Restaurants dagegen sind ein Verhältnisblödsinn. Das können wir weder sozial noch finanziell noch länger durchziehen.

Es sieht aber danach aus, als wolle der Bundesrat den Teil-Lockdown verlängern.

Der Bund hat eine Diktatur eingeführt. Er hat die Demokratie ausgeschaltet. Die Mehrheit der Kantone hat sich gegen Ladenschliessungen ausgesprochen. Was macht der Bund? Er lässt die Läden schliessen. Die Sozialpartner waren gegen die strengen Home-Office-Auflagen. Der Bund führt sie trotzdem ein. Im Nationalrat haben sich mehrere Kommissionen gegen die Schliessung der Geschäfte und Restaurants ausgesprochen. Der Bundesrat ignoriert sie. Bevölkerungsbefragungen sind ihm offensichtlich egal. Der Bundesrat setzt die Demokratie aus – und das ohne seine Entscheide schlüssig zu begründen.

Wie meinen Sie das?

Vor kurzem hiess es noch, Lockerungen seien möglich, wenn die Fallzahlen hinuntergehen, die Intensivstationen wieder Platz haben und der R-Wert unter 1 sinkt. Das ist alles erfüllt, aber der Bundesrat lockert nicht. Im Dezember sagte der Bundesrat, die Spitäler kämen ans Ende ihrer Kapazitäten. Das traf aber nirgends ein. Die prophezeite Ansteckungswelle über Weihnachten und Neujahr? Sie ist ausgeblieben. Jetzt, wo die Infektionszahlen noch immer tief sind, müssen die Mutationen als Begründung für die Weiterführung der Massnahmen herhalten. Der Bund regiert mit Schreckensszenarien, damit er die Macht behalten kann.

Sie haben dem Covid-19-Gesetz im Parlament zugestimmt.

Ja, wegen der Härtefallhilfen, die dringend benötigt wurden. Aber jetzt unterstütze ich das Referendum gegen dieses Gesetz. Der Bundesrat baut seine Macht stetig aus. Gegen das Notrecht, das in der Verfassung verankert ist, kann man schwer argumentieren. Eine Regierung muss im Krisenfall schnell handeln können. Doch das Covid-Gesetz, das dem Bundesrat bereits viel Macht verleiht, soll jetzt sogar noch erweitert werden. Eigentlich müsste sich der Bund mit den Kantonen abstimmen. Doch Berset legt das so aus, dass er seine Extremforderungen zur Vernehmlassung in die Kantone gibt, und wenn diese eine andere Haltung haben, macht er trotzdem, was er will. Parlament und Kommissionen haben noch nie über Schliessungsmassnahmen entscheiden können. Wir können, weil die Zeit für ordentliche Vorstösse nicht reicht, nur Briefe an den Bundesrat schreiben – die dann allerdings auch nicht berücksichtigt werden.

Wie schätzen Sie den Nutzen der wirtschaftlichen Massnahmen ein?

Die Überbrückungskredite bewährten sich in der ersten Phase gut, die Kurzarbeit ebenfalls. Damit wurden Arbeitsplätze gerettet. Wenn der Staat Unternehmen faktisch enteignet, weil er Schliessungen verfügt, muss er diese natürlich auch entschädigen. Doch die Massnahmen gehen ins Geld. Die Schweiz musste im vergangenen Jahr Zuschüsse in Höhe von 20 Milliarden Franken an die Arbeitslosenversicherung leisten. Dazu kamen 5 Milliarden Franken für den Erwerbsersatz. Auch die Härtefallregelung kostet sehr viel Geld, obwohl ja nur ein Teil der Betroffenen davon profitieren kann.

Der Bund will die Härtefallverordnung überarbeiten.

Viele Unternehmen müssen jetzt ihre Ersparnisse aufbrauchen, weil der Bund sie nicht voll entschädigt. Die Zulieferer werden nicht entschädigt. Grosse Firmen will man ebenfalls nicht entschädigen, weil das zu teuer ist. Bei kleinen Firmen, die erst kürzlich gegründet wurden, hat man keine Vergleichsgrösse zur Abschätzung des Umsatzverlustes. Und wie geht man mit Unternehmen um, die in verschiedenen Kantonen eine Filiale haben? Ja, der Bundesrat will die Verordnung überarbeiten, aber er ist jetzt erst einmal in die Skiferien verreist. In der Kommission für Wirtschaft und Abgaben, in der ich bin, dürfen wir uns am Tag vor der Session noch damit beschäftigen. Zwischen Tür und Angel hat man uns zu verstehen gegeben, dass der Bundesrat die Härtefallgelder in Zukunft per direktem Bundesbeschluss selbst bestimmen will. Soll der Bundesrat plötzlich auch noch die ganze finanzielle Verfügungsgewalt haben?

Der Finanzminister ist Mitglied Ihrer Partei, der SVP.

Die beiden SVP-Bundesräte wehren sich gegen diesen Machtrausch des Bundesrats. Das kann ich Ihnen versichern. Man hört, der Bundesrat entscheide meist mit vier zu drei Stimmen. Anscheinend lassen sich die Frauen von Bundesrat Bersets Schreckensszenarien mehr einschüchtern als die Männer dort.

Was halten Sie vom Covid-19-Kreditprogramm, das die Banken zusammen mit dem Bund im Frühling aufgegleist haben?

Bundesrat Ueli Maurer mit den Banken – nicht umgekehrt. Der Bund trägt ja das finanzielle Risiko. Die Kredite sollen zurückbezahlt werden, und einige Unternehmen haben das bereits getan. Das vom Bund zur Verfügung gestellte Volumen wurde nicht ausgeschöpft. Total wurden für 17 Milliarden Franken Kredite vergeben. Man muss sich fragen, wie viele davon in den nächsten sieben bis zehn Jahren nicht mehr zurückbezahlt werden können. Der Bund rechnet mit Ausfällen in Höhe von je 1 Milliarde Franken in den Jahren 2020 und 2021.

Dieses Kreditprogramm lief allerdings nur während der ersten Pandemiewelle.

Ja, das merken vor allem die zum ersten Mal richtig betroffenen Berggebiete stark. Die Gastronomie spürte bisher zwei Wellen, in denen sie geschlossen war. Für die Reise- und Eventbranche hingegen war das ganze Jahr ein Ausfall. Viele Unternehmer sind am Limit. Die Kantone müssen nun die Härtefallhilfen rasch erlassen und auszahlen. Sie kennen ihre wirtschaftlichen Strukturen am besten und wissen auch, welche Firmen systemrelevant sind.

Sollen Bund und Banken ein zweites Kreditprogramm aufgleisen?

Schauen Sie sich Graubünden an. Die Hotels stecken erst jetzt in einer ersten Welle, können aber keine Überbrückungskredite mehr erhalten und haben kein Umsatzminus von 40 Prozent ausweisen. Hier braucht es Sonderlösungen. Bei der Unterstützung greift man halt oft zur Schrotflinte.

Was heisst das?

Es ist wie bei den Schliessungsmassnahmen. Man schaut nicht, wo es zu Ansteckungen kommt und wo die Risiken liegen, sondern macht einfach alles zu. Genauso ist es bei der Staatshilfe. Es ist halt so: Planwirtschaft hat noch nie funktioniert.

Wie soll das alles bezahlt werden?

Können wir sparen? Oder wollen wir in dieser wirtschaftlichen Lage höhere Abgaben, Mehrwert- und andere Steuern einführen? Schieben wir das Schuldenproblem einfach hinaus? Letztgenanntes ist eine beliebte Taktik des Bundes. In der Finanzkommission des Nationalrats ist das ein grosses Thema, aber wir haben ja derzeit keinen Einfluss. Wir können nur im Nachhinein abnicken, was der Bund in der Verordnung zu den Entschädigungen festlegt. Er kann im Moment faktisch allein über Milliarden verfügen.

Warum gehen Sie als Parlamentarierin nach Bern, wenn Sie ständig das Gefühl haben, Sie können nichts bestimmen?

Es wäre sonst noch schlimmer. Ich gehe, und ich kämpfe. Ich hatte noch nie eine so anstrengende Zeit wie im letzten Dezember. Als die ersten europäischen Länder begannen, Lockdowns zu verfügen, war Bundesrat Berset sofort Feuer und Flamme. Ich habe jeden Tag dagegen gekämpft: mit den Kantonen, mit Allianzen, über die Medien, mit den Verbänden, mit den Kommissionen. Wir haben dann morgens um 6 Uhr über die Härtefall-Milliarden diskutiert, dann war den ganzen Tag lang Session und gleichzeitig ein Kampf gegen weitere Schliessungen bis 22 Uhr. Die Restaurants waren zu, man musste schauen, wo man etwas zu essen bekam. So etwas habe ich noch nie erlebt, auch als Unternehmerin in den grössten konjunkturellen Krisen nicht. Ich hatte ein Gefühl wie an einer Kampffront. Und was war das Resultat? Offene Skipisten und Terrassen, Hotels, Coiffeur- und Kosmetiksalons. Die Läden und Restaurants mussten leider schliessen. Das haben wir auch Deutschland zu verdanken.

Wieso haben wir das Deutschland zu verdanken?

Deutschland hat relativ wenig Corona-Fälle, ein gutes Gesundheitswesen und trotzdem sehr strenge Massnahmen. Weshalb? Weil die Deutschen 2021 ein sogenanntes Super-Wahljahr haben. Die Regierung will zeigen, dass sie etwas macht, und verschärft deshalb die Massnahmen dauernd. Schwache Regierungen und solche, die im Wahlkampf stehen, versuchen sich mit Lockdown-Massnahmen zu profilieren. Bundesrat Berset orientiert sich an diesen Ländern. Das Resultat ist, dass wir keine Demokratie, keinen Föderalismus und nur noch sehr wenige Freiheiten erhalten.

Welches Land macht es besser?

China. Der Alltag ist dort schon lange zurück. Regionale Ausbrüche werden rigoros bekämpft. China hat trotzdem Respekt vor der Pandemie und stellt hohe Test- und Quarantäneanforderungen bei Reisen wie jetzt zum chinesischen Neujahr. Als das Land wieder öffnete, waren die Schutzmassnahmen sehr streng. Ems-Chemie hat fünf Firmen in China, und wir hatten keinen einzigen positiven Fall. Dennoch mussten alle unsere Mitarbeiter ihre Schuhsohlen desinfizieren, wenn sie zur Arbeit kamen. Wenn jemand Symptome zeigt, wird er sofort getestet. Positive werden getrackt und dürfen die Wohnung nicht mehr verlassen. Das war sehr streng, hat sich aber gesundheitlich und wirtschaftlich gelohnt. Das chinesische Bruttoinlandprodukt ist 2020 sogar gestiegen. Die Schweiz ist eigentlich keine Diktatur, wir wollen auch keine. Trotzdem leben wir heute unter einem Regime des Bundesrats. In China ist die Wirtschaftsfreiheit derzeit viel grösser als hier.

Magdalena Martullo-Blocher

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