So will Andreas Glarner aus der Krise kommen

«Wir müssen alles abschaffen, was die Wirtschaft bremst», sagt Andreas Glarner (57). Im Interview verrät der SVP-Aargau-Präsident zudem, warum er nicht an den Corona-Demos teilnimmt, in der Schweiz keine Masken produzieren will und im Sommer eine Flusskreuzfahrt im Ausland macht.

Andreas Glarner hat sein Büro im Erdgeschoss des Kindergartens von Oberwil-Lieli. Als die AZ ihn zum Interview trifft, kommt der SVP-Nationalrat eben von seinem Einsatz am nationalen Vorlesetag. Der 57-jährige Unternehmer und Politiker hat den Kindern einen Stock höher Geschichten vorgelesen. Sie hätten gespannt zugehört und die Coronaregeln eingehalten, sagt Glarner. Nur als die Kindergärtler ihm eine Bastelarbeit und einen Schoggikäfer als Geschenk übergaben, sei es mit dem Abstand etwas knapp geworden.

Vor drei Wochen waren die Kindergärten noch zu, inzwischen hat der Bundesrat starke Lockerungen der Coronaregeln beschlossen – ist die Krise schon vorbei?

Andreas Glarner: Nein, definitiv nicht. Es ist zwar schön, dass die Einschränkungen jetzt nach und nach wegfallen, aber ich mache mir grosse Sorgen um die Zukunft der Schweiz. Wenn ich sehe, wie die Wirtschaft unter dem Lockdown gelitten hat, wie viele Leute in Kurzarbeit sind oder ihren Job verloren haben, sehe ich schwarz.

Sie kritisieren den Bundesrat scharf. Die Massnahmen seien übertrieben gewesen und würden zu spät gelockert. Dafür hat die Schweiz viel weniger Opfer zu beklagen als Italien oder Spanien – war es das nicht wert?

Natürlich ist es tragisch, wenn Menschen wegen Corona sterben. Aber man hätte dies auch anders verhindern können als mit einem Lockdown, der viel Schaden anrichtet. Der Bundesrat hat es verpasst, rechtzeitig die Grenzen zu Italien zu schliessen, wo das Virus schon wütete.

So wurde die Infektion eingeschleppt, dafür trägt der Bundesrat die Verantwortung.

Glauben Sie wirklich, dass es so einfach gewesen wäre? Oder bringen Sie hier nicht einfach die alte SVP-Forderung «Grenzen dicht» als Allheilmittel ins Spiel?

Die Schweiz hat aus Rücksicht auf die EU ihre Grenzen lange offen gelassen. Schliesslich haben Deutschland und Österreich ihre Grenzen zur Schweiz geschlossen, weil die Situation hier kritisch war. Das zeigt eindeutig auf, wie diese Nachbarländer die Untätigkeit des Bundesrates eingeschätzt haben.

Später waren die Grenzen zu, die Personenfreizügigkeit war ausgesetzt. Das muss ein Traum für Sie und die SVP gewesen sein.

In dieser krassen Form war es kein Traum, auch wir wollen nicht, dass die Grenzen vollständig geschlossen sind. Aber die letzten Wochen haben gezeigt, dass in Krisensituationen jede Regierung jene Entscheidungen trifft, die sie für die besten für ihr Land hält. Und für die Schweiz wäre es am besten, wenn sie die Einwanderung wieder selber steuert. Dass der Bundesrat die Personenfreizügigkeit rasch wieder in Kraft setzt, obwohl wir so viele Menschen wie noch nie in Kurzarbeit haben und die Arbeitslosenzahlen steigen, ist falsch.

Aber der Aargau braucht ausländische Arbeitskräfte: Pflegerinnen im Kantonsspital Baden, Techniker in den AKW Beznau und Leihstadt. SVP-Ständerat Hansjörg Knecht hat sogar beim Bundesrat interveniert, damit für diese Leute mehr Grenzübergänge geöffnet werden.

Ich sage nicht, dass Grenzgänger nicht mehr im Aargau arbeiten sollen. Das verlangt auch die Begrenzungsinitiative nicht, über die wir im Herbst abstimmen. Bestehende Arbeitsverträge sind davon nicht betroffen. Aber die Zuwanderung ist einfach zu hoch: Im ersten Quartal des Jahres kamen über 35’000 Personen neu in die Schweiz. Die Einwanderung nahm gegenüber der Vorjahresperiode um 9 Prozent zu, die Auswanderung ging um 8,8 Prozent zurück.

Landwirte sind auf ausländische Erntehelfer angewiesen. Was sagen Sie Ihrem SVP­ Kollegen und Nationalrat Alois Huber, dem Präsidenten des Aargauischen Bauernverbandes, zu diesem Thema?

Wir brauchen keine Polen, Rumänen oder Bulgaren, die unser Gemüse ernten. Es gibt genügend Arbeitslose und Sozialhilfebezüger in der Schweiz, die diese Arbeit machen können. Vielleicht muss man die Vorgaben ändern, was als zumutbare Arbeit gilt. Dann sollen die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren diese Leute zu den Bauern aufs Feld schicken. Es kann doch nicht sein, dass in der Schweiz Zehntausende von Leuten ihre Jobs verlieren, wir aber weiter Arbeiter aus dem Ausland holen.

Im Herbst kommt die SVP-Begrenzungsinitiative an die Urne. Haben die geschlossenen Grenzen im Hinblick auf die Abstimmung geholfen oder geschadet?

Ich glaube, sie haben uns geholfen, weil viele Schweizer jetzt erkennen, dass in einer Krisensituation jeder Staat zuerst auf sich selbst schaut. Für die Schweiz führt die starke Einwanderung auch in eine Krise. Darum ist es wichtig, dass wir diese eigenständig steuern können.

Während der Coronapandemie waren Schutzmasken und Desinfektionsmittel in der Schweiz knapp. Soll der Bund mehr Pflichtlager einrichten, wie es Ihr Parteikollege und Nationalrat Thomas Burgherr verlangt? Oder sollen wir diese Güter selber herstellen?

Ich bin dafür, dass die Pflichtlager aufgestockt werden. Aber ich warne davor, in der Schweiz nun Dinge zu tun, die nicht rentieren und nichts bringen. Es ist definitiv nicht sinnvoll, Schutzmasken in der Schweiz zu produzieren. Ich habe früher eine Firma für Pflegebedarf geführt, wir hatten Masken für ein paar Rappen im Angebot. Wenn man die hier herstellt, ist das eine sehr teure geschützte Werkstatt, weil die Produktion preislich nicht konkurrenzfähig ist.

Ihre Nationalratskollegin Martina Bircher sagt, Schutzmasken gehörten verbannt und man solle sich bei der Begrüssung wieder die Hände reichen – sehen Sie das auch so?

Nein, das sehe ich anders. Wenn es hilft, in gewissen Situationen Masken zu tragen und auf den Handschlag zu verzichten, damit wir auf schmerzhafte Einschränkungen im täglichen Leben und bei der Arbeit verzichten können, dann sollten wir das tun.

Sie sind ein Vertreter des Föderalismus, haben im Aargau immer für Gemeindeautonomie gekämpft. Notrecht und umfassende Vollmachten des Bundesrat müssen Ihnen ein Gräuel sein?

Nein, so schlimm ist es nicht. Wenn man eine Notsituation erkennt, können ja nicht in jedem Kanton unterschiedliche Regeln gelten. Am Anfang hat der Bundesrat durchaus besonnen gehandelt und angemessen reagiert. Das Problem ist nur, dass die Lockerungen zu spät und zu zögerlich erfolgen. Der Bundesrat hat zu lange nach dem Ausweg gesucht, der Kollateralschaden des Lockdowns für die Wirtschaft und die einfachen Leute ist immens.

Unter dem Titel «Vorfahrt für Arbeit» fordern Sie einen Abbau beim Staatspersonal und weniger Vorgaben für die Wirtschaft. Aber müsste der Staat nicht eher ein Konjunkturprogramm schnüren, um die Wirtschaft anzukurbeln?

Wir geben ohnehin schon 95 Milliarden Franken aus und plündern die Bundeskasse. Es braucht kein Konjunkturprogramm, sondern zum Beispiel die Abschaffung des Verbandsbeschwerderechts. Es kann nicht sein, dass eine Firma wie Brack.eh in einem Industriegebiet bauen will und die Gegner mit Klagen bis vor Bundesgericht das Projekt verzögern. Fristen für Bewilligungen müssen halbiert werden, die Wirtschaft braucht jetzt mehr Freiheiten, sonst wird es viele Konkurse geben.

Also wollen Sie die Umwelt opfern, um die Wirtschaft zu retten?

Nein, darum geht es nicht. Schauen Sie die Umfahrung Mellingen an: Da verhindern die angeblichen Umweltschützer seit Jahren, dass sie gebaut und das Städtchen vom Verkehr entlastet wird. Wir müssen alles abschaffen, was die Wirtschaft behindert, zum Beispiel auch Gesamtarbeitsverträge, die überall für verbindlich erklärt werden.

Sie hoffen darauf, die FDP und die CVP als Unterstützer zu gewinnen. Das dürfte mit solch radikalen Forderungen illusorisch sein.

Wenn sich diese drei Parteien zusammenraufen, hätten wir die Chance, den Staat zurückzubinden und der Wirtschaft echt zu helfen. Jetzt müssen FDP und CVP wirklich Farbe bekennen und zeigen, ob sie bürgerlich sind.

Sie sind Präsident der Handelskammer Schweiz-Taiwan. Wie hat es Taiwan, diese Insel direkt vor China, eigentlich geschafft, dass dort kaum Coronafälle auftraten?

Ich hatte Kontakt mit dem Botschafter von Taiwan, das System dort beruht auf sehr strikter Isolation. Wer ins Land einreiste, wurde mit einem Taxi nach Hause gefahren und dort unter Quarantäne gestellt. Natürlich mit konsequenter Überwachung und finanzieller Entschädigung, so hat das funktioniert.

Die Schweiz setzt auf Contact Tracing, die engen Kontaktpersonen von Covid­Infizierten werden in Quarantäne geschickt. Allerdings passiert dies ohne strikte Kontrolle – sind wir zu gutgläubig?

Nein, wir wissen inzwischen, dass es eine gute Chance gibt, Corona zu überleben. Wenn das Virus gefährlicher wäre, zum Beispiel alle Altersgruppen treffen und schnell zum Tod führen würde, müssten wir anders handeln. Ich bin sicher, dass dann auch in der Schweiz sehr strenge Isolationsmassnahmen getroffen würden. Und was für mich klar ist: Wenn die Behörden eine enge Kontaktperson in Quarantäne schicken, müssen die Betroffenen eine Entschädigung erhalten, weil sie in dieser Zeit ja nicht arbeiten können.

Werden Sie selber die Corona-Tracking-App des Bundes installieren, wenn sie verfügbar ist?

Selbstverständlich, ich habe auch in der Kommission dafür gestimmt, dass die App nun getestet werden darf. Ich sehe keine Datenschutzprobleme, zudem sollten sich die Leute mal überlegen, welche Daten sie auf Facebook oder bei Google angeben. Ich hätte auch kein Problem damit, wenn ein Restaurant nur Leute bedient, die auf ihrem Handy die App installiert haben.

Die SVP kritisiert den Bundesrat massiv, in Deutschland sieht man oft AFD-Politiker bei Kundgebungen gegen die Corona-Massnahmen. Warum nehmen Sie und andere SVP­Politiker nicht an solchen Demonstrationen teil?

Unter den Demonstranten hat es Menschen, die wegen der Massnahmen den Job verloren haben. Oder es gibt Leute, die fundamental für politische Rechte eintreten – dass sie protestieren, finde ich verständlich. Es hat aber auch Verschwörungstheoretiker und Leute mit abstrusen Ansichten darunter. Ich höre zum Beispiel immer wieder die absurde Ansicht, dass die Mobilfunktechnologie 5G zur Verbreitung des Coronavirus beitragen soll. Mit solchen Leuten wollen wir uns nicht ins selbe Boot setzen.

Sie sind seit Mitte Januar Präsident der SVP Aargau, wollten Ihre Sektion zum Leuchtturm aller Kantonalparteien machen und viele Ortsparteien besuchen – was ist aus diesen Plänen geworden?

Da hat mich das Coronavirus leider stark eingebremst. Ich hatte schon einen Hirtenbrief an alle SVP-Sektionen im Aargau geschrieben und mir Daten für Besuche reserviert. Das war alles nicht möglich, und für mich ist der direkte Kontakt in der Politik sehr wichtig. Man muss «SVP bi de Lüüt» auf dem Marktplatz machen können, man muss ein Podium im Ochsensaal oder einen Parteitag mit Präsenz durchführen können. Wenn das nicht geht, müssen wir über eine Verschiebung des Wahltermins im Aargau reden.

Nun sind wieder Veranstaltungen mit bis zu 300 Personen erlaubt. Dann könnte die SVP Schweiz bald ihren Parteitag durchführen und Sie zum Präsidenten wählen?

Klar ist: Bei der SVP wird der Präsident nicht digital gewählt wie bei den Grünen. Ich stehe zur Verfügung, das Amt würde mich reizen, aber es hängt davon ab, wer sonst noch kandidiert. Gegen Marcel Dettling würde ich nicht antreten, gegen Alfred Heer hingegen schon. Das wäre ein sportlicher Wettkampf, Zürich gegen Aargau. Ich war beim Hearing in der Findungskommission und bis jetzt nicht rausgefallen.

Sie wollen bei einer Wahl zum SVP-Schweiz-Präsidenten auch Aargauer Kantonalpräsident bleiben. Sind Sie so machthungrig, dass Sie ein Doppelmandat wollen?

Es geht nicht um Machthunger, sondern um Verlässlichkeit: die Aargauer SVP-Basis hat mich gewählt, da kann ich doch nicht nach ein paar Monaten wieder aufhören. Zudem wäre der Aargau wie eine Filiale der SVP Schweiz – und Peter Spuhler hat bei Stadler Rail auch gerade ein Doppelmandat als Verwaltungsratspräsident und CEO.

Heute beginnt in Bern die Sommersession, danach folgen die Sommerferien. Wo verbringen Sie die?

Ich habe für meinen Vater und mich eine Flusskreuzfahrt von Hannover nach Amsterdam gebucht. Eigentlich wollten wir im Frühling schon verreisen, wegen Corona war dies aber leider nicht möglich.

Das wird Ihren Bundesrat Ueli Maurer nicht freuen. Er hat ja die Bevölkerung aufgerufen, in der Schweiz Sommerferien zu machen.

Dann soll der Bundesrat dafür sorgen, dass Ferien in der Schweiz für einfache Leute bezahlbar sind. Wenn man zu dumm ist, an die Campingplätze zu denken, die günstige Übernachtungsmöglichkeiten bieten, dann ist dieser Aufruf für Familien mit einem schmalen Budget ein Hohn. Ich bin selber kein Camper, aber ich verstehe nicht, warum die Plätze über Auffahrt und Pfingsten geschlossen bleiben mussten.

Sie selber könnten sich Ferien in der Schweiz aber leisten, trotzdem machen Sie eine Flusskreuzfahrt im Ausland?

Ja, das stimmt, ich könnte mir Ferien im Inland leisten. Aber ich erfülle meinem Vater mit der Flussfahrt einen Traum. Er ist 81 und gehört zur Risikogruppe, ich habe ihn seit Wochen nicht gesehen. Vielleicht mache ich danach ein paar Tage Ferien in der Schweiz.

Andreas Glarner

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